Informationen zum BBI-Skandal
Standortentscheidung
Raumordnungsverfahren:
„Gleich nach der Wiedervereinigung Deutschlands begann die Suche nach einem Standort für einen neuen Großflughafen. Im Gebiet mit einem Radius von 50 Kilometer um den Berliner Hauptbahnhof wurden dazu 27 mögliche Standorte auf ihre Eignung untersucht. Schönefeld wurde dabei im letzten Drittel eingestuft. Danach wurden die geeignetsten sieben Standorte intensiver untersucht. Bestimmte Kräfte setzten aber durch, dass Schönefeld zu diesen sieben zählte. Davon wurden drei Standorte erneut vergleichend untersucht. Schönefeld wurde dabei wieder – entgegen den Untersuchungsergebnissen – zu den letzten drei gesetzt. Die abschließende Bewertung ergab Sperenberg als den geeignetsten Standort, gefolgt von Jüterbog-Ost und danach abgeschlagen Schönefeld.
Das im November 1994 abgeschlossene Raumordnungsverfahren mit der Untersuchung von zuerst 93 und dann 20 ausgewählten Standorten kam zu dem Ergebnis: `Der Flughafenstandort Schönefeld-Süd wird als nicht verträglich beurteilt.´
Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) favorisierte wie die Lufthansa und die Berliner SPD den Standort Sperenberg. Bei einer Informationsveranstaltung über den Großflughafen BBI am 22. September 1995 in Königs Wusterhausen/Neue Mühle bekräftigte er seinen Standpunkt und stellte abschließend fest: `Schönefeld ist menschenfeindlich´ “ (Helmut Munkow, Aufschrei der Schönefeld-Anbeter, Märkische Allgemeine, 12.10.2010).
Das Urteil im Raumordnungsverfahren lautete: Die „Menschen als Schutzgut“ der Umweltverträglichkeitsprüfung sind bei dem Standort Schönefeld unvertretbar hoch betroffen (Rainer Söllner, Standortfindung für den Flughafen BBI, in: Raumentwicklung und Umweltverträglichkeit, 1995, S.35).
Konsensbeschluss von 1996
Der damalige Berliner Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und der Verkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) wollten den Flughafen aber unter allen Umständen nach Schönefeld holen.
Das Flughafenkonzept wurde im Vorfeld der Standortentscheidung so weit eingedampft, dass es mit dem bevölkerungsreichen Standort Schönefeld kompatibel erschien. Ursprünglich geplant war ein Großflughafen und internationales Drehkreuz mit vier Start- und Landebahnen (im letzten Ausbaustadium), geeignet für 60 Millionen Passagiere. In der Entschließung der Ministerkonferenz für Raumordnung von 1991 hieß es noch: Der BBI soll eine Drehkreuzfunktion für ganz Europa erfüllen. Der neue Standort muss geeignet sein, alle Luftverkehrsanforderungen des nächsten Jahrhunderts zu erfüllen (Söllner, wie oben, S.27).
Den Befürwortern Sperenbergs wurde dann aber durch eine vergleichsweise ungünstige Prognose bezüglich der zu erwartenden Fluggastzahlen der Wind aus den Segeln genommen. Die Standortempfehlung (ein Teil des Konsensbeschlusses) „berücksichtigt vor allem, … dass der ursprünglich angenommene Bedarf für einen Flughafen, auf dem bis zu 60 Millionen Passagiere abgefertigt werden können – ein wesentliches Argument, das wegen des Flächenbedarfs für Schönefeld gesprochen hätte – nicht nachweisbar ist“ (www.waldblick-gegen-flugrouten.de/wp-content/uploads/2011/01/konsensbeschluss.pdf.)
Mit dem Konsensbeschluss, den die drei Gesellschafter Berlin, Brandenburg und der Bund unterzeichneten, fiel die Entscheidung auf den Standort Schönefeld. Der Bund und Berlin hatten massiven Druck auf Manfred Stolpe (Brandenburg) ausgeübt.
Die Standortentscheidung war zu einem erheblichen Teil der Vorteilnahme Berlins geschuldet. Aber auch andere Interessen standen dahinter: „Wissmann vertrat eindeutig die Interessen des Bundes, der auch an den Flughäfen in München und Frankfurt beteiligt ist und für die ein Berliner Großflughafen ohne Nachtflugbeschränkung (nämlich in Sperenberg) eine erhebliche Konkurrenz bedeutet hätte“ (Günter Ederer, Der BBI ist unsinnig und unrentabel, Tagesspiegel, 1.11.2010).
Bis zu diesem Zeitpunkt war in der Bundesrepublik noch kein Fall bekannt, bei dem eine Planungsgenehmigung gegen die Beurteilung durch ein Raumordnungsverfahren erteilt worden wäre (Söllner, wie oben, S.36) – Es handelt sich also um einen ganz außergewöhnlichen Vorgang. Hier liegt sicher auch der Ursprung der meisten weiteren Probleme mit dem BBI.
„Die Entscheidung gegen Sperenberg hatte auch zur Folge, dass sich private Investoren für einen neuen Großflughafen Berlin sofort zurückzogen“ (Ederer, Tagesspiegel, wie oben).
Dabei war den privaten Investoren beim Flughafenausbau eine wichtige Rolle zugedacht. Eines der Unternehmensziele der damaligen BBF (Berlin Brandenburg Flughafen Holding) war die „Attraktivität des Unternehmens für Privatbeteiligung“ (Konsensbeschluss). Die privaten Investoren waren offenbar von einem wirtschaftlichen Erfolg eines eingeschrumpften Flughafens in Schönefeld nicht zu überzeugen. Noch in der ersten Hälfte des Jahres 2003 wurde der zweite Versuch, die Flughafengesellschaft zu privatisieren, abgebrochen. Berlin, Brandenburg und der Bund beschlossen, den Flughafenneubau nun in eigener Regie zu betreiben (Günter Hellmich, Kommentar, Deutschlandfunk, 22.05.2003). Alleinige Gesellschafter sind bis heute die Länder Berlin, Brandenburg und die Bundesrepublik Deutschland.
Die offensichtlichen Bedenken der Privatwirtschaft gegenüber dem BBI-Projekt in Schönefeld hätten ein Signal dafür sein können, das Projekt neu zu überdenken und die Notbremse zu ziehen.
Flugrouten
Eines der Argumente dafür, überhaupt einen neuen Flughafen zu bauen, war die Reduzierung der Zahl der Lärmbetroffenen.
So hieß es auch im „Konsensbeschluss“ : „Die Standortempfehlung berücksichtigt vor allem, … dass durch die schrittweise Schließung der Flughäfen Tegel und Tempelhof eine wesentliche Reduzierung der von Fluglärm Betroffenen erreichbar ist.“ An dieser Stelle, an der es immer noch um die Standortwahl geht, ist die Argumentation allerdings schräg: In Sperenberg wären nur 7.000 Menschen vom Fluglärm betroffen gewesen.
Bei dem jetzt eingeleiteten Planfeststellungsverfahren sollte vor allem darauf hingewirkt werden, „dass durch die Optimierung des Flughafenlayouts sowie qualitativ hochwertige Lärmschutzmaßnahmen die Auswirkungen auf die von dem Flughafenausbau betroffenen Menschen so gering als möglich bleiben“ (Konsensbeschluss).
Um einen Flughafen planen zu können, braucht man eine „Flugroutengrobplanung“ oder eine „Flugroutenprognose“.
„Bis März 1998 war die DFS (Deutsche Flugsicherung) davon ausgegangen, die Abflugstrecken von den beiden Parallelbahnen im Modus `abhängig voneinander´ zu planen“ (Informationsschreiben der DFS, siehe Anhang).
D.h. es war zu diesem Zeitpunkt nicht vorgesehen, dass zwei Flugzeuge gleichzeitig und unabhängig voneinander starten können. Die DFS hatte dem Flughafen entsprechend 1998 eine Grobkonzeption der Flugrouten übergeben, in der der unabhängige Betrieb nicht berücksichtigt wurde. Der Planung des BBI, der über zwei parallele Startbahnen verfügt, liegen deshalb geradeaus verlaufende Startrouten nach Osten und nach Westen zugrunde. Für die Planung mit den geradeaus verlaufenden Flugrouten hatte man 30 Gutachten eingeholt (Vortrag Rechtsanwalt Mathias Hellriegel, Zeuthen, 20.12.2010).
„In der Folgezeit (ab März 1998) wurde die Deutsche Flugsicherung gebeten, eine zusätzliche Prüfung für `gleichzeitige, unabhängige Abflüge´ durchzuführen“ (Informationsschreiben der DFS, siehe Anhang).
D.h. man erwog nun, die Flugzeuge von beiden Bahnen gleichzeitig, oder zumindest unabhängig voneinander starten zu lassen, was eine höhere Auslastung des Flughafens ermöglichen würde.
Am 20. August 1998 schrieb die DFS deshalb an das Verkehrsministerium Brandenburgs: „In diesem Zusammenhang (bei uneingeschränktem Parallelbetrieb) möchte ich jedoch auch deutlich darauf hinweisen, dass die gleichzeitige unabhängige Durchführung von IFR-Flügen von beiden Pisten unmittelbar nach dem Start eine Divergenz der Abflugkurse von mindestens 15° erfordern“ (siehe Anhang). „… bei der weiteren Verwendung dieser Unterlagen (ist) ein entsprechender Toleranzbereich zu berücksichtigen“ (Daniel Riedel, Schlamperei oder Betrug, Bild.de, 13.12.2010, siehe Anhang). – D.h. das muss bei der künftigen Planung berücksichtigt werden!
Die Flughafenplaner hatten jetzt ein Problem. Die Gutachten waren eingeholt und bezahlt (laut Hellriegel ein sechsstelliger Betrag). Zudem drängte die Zeit, denn Ende 1999 sollte das Verkehrswege-Beschleunigungsgesetz, das juristische Verfahren in den neuen Bundesländern auf eine Instanz begrenzte, auslaufen (das Gesetz wurde am Ende verlängert).
Falls der Wunsch nach unabhängigem Parallelbetrieb aufrechterhalten werden sollte, bedeutete die Forderung der DFS eigentlich einen Neubeginn der Planung, mit neuen Gutachten (Vortrag Hellriegel).
Dazu verspürten die Flughafenplaner allerdings wenig Neigung. Stattdessen schrieb der damalige Flughafenchef Götz Herberg am 7.10.1998 an einen Abteilungsleiter des Bundesverkehrsministeriums. Er bat das Bundesverkehrsministerium dahingehend Einfluss auf die (Bundeseigene und dem Verkehrsministerium unterstellte) DFS zu nehmen, dass die Forderung des Abknickens um 15° „modifiziert“ wird.
„Im Zusammenhang mit der Abstimmung wichtiger Bestandteile o. g. Planfeststellungsantrags mit der DFS hat sich ein Problem ergeben, bei dessen Lösung ich Sie um Unterstützung bitten möchte. … Die DFS fordert die grundsätzliche Vorgabe der Divergenz von 15 Grad für alle Abflüge und wird ihre grundsätzliche Vorgabe dahingehend kurzfristig überarbeiten. … Es muss mit erheblichen finanziellen Mehraufwendungen und einer zeitlichen Verzögerung im Planungsablauf von ca. 3 Monaten gerechnet werden. Lösungsvorschlag: Das BMV wird gebeten, Einfluss auf die DFS dahingehend zu nehmen, dass die DFS ihre Stellungnahme … modifiziert. Die Stellungnahme der DFS ist für das Planfeststellungsverfahren wichtig. Sie soll zum Ausdruck bringen, dass die dargestellte Streckengeometrie grundsätzlich akzeptiert wird … Zu beachten ist auch, dass die endgültige Festlegung der Flugrouten durch die DFS erst mit Inbetriebnahme des Bahnsystems erfolgt und die dann geltenden technischen und technologischen Voraussetzungen berücksichtigt werden“ (BBI-Sprecher wehrt sich gegen Vorwurf der Täuschung, Märkische Allgemeine, 10.12.2010).
Ende Oktober 1998 ging beim Infrastrukturministerium ein neuer Brief der DFS ein (vom 26. Oktober), der der Bitte von Flughafenchef Herberg entspricht. Er besagt, dass die alte Streckengeometrie „grundsätzlich der derzeitigen Planung“ entspreche (Jan Wehmeyer, Bild enthüllt die Trickserei mit dem Flughafen, Bild Berlin-Brandenburg, 10.12.2010).
Dieser Brief enthielt zwar einen neuen Hinweis auf die Notwendigkeit des Abknickens, „ … wäre generell eine Divergenz von 15 Grad erforderlich“ (Daniel Riedel, Bild.de). Er bestätigte aber auch den Argumentationsansatz von Herberg, dass der Routenverlauf nicht Gegenstand der Planfeststellung sei, sondern erst kurz vor Inbetriebnahme des Flughafens festgelegt werde (siehe Anhang).
Dieser Schriftwechsel war ursprünglich auch in den Planfeststellungsunterlagen (Antrag zur Planfeststellung vom Dezember 1999) enthalten. In einem Exemplar der Planfeststellungsunterlagen, das Anwalt Hellriegel im Potsdamer Infrastrukturministerium untersucht hatte, waren die Schreiben manipuliert worden. Die erste Seite des Schreibens vom August wurde mit der zweiten Seite des Schreibens vom Oktober zusammengeheftet. Auf diese Art wurde die brisante Forderung, der 15 Grad-Knick sei bei der Planung zu berücksichtigen, unterdrückt (Bild.de, wie oben; Katrin Schölkopf u. A., BBI-Akten verschwunden, Berliner Morgenpost, 14.12.2010).
Der BVBB und die Berliner Zeitung berichten von einem Exemplar der Antragsunterlagen, aus dem das brisante Schreiben entfernt worden ist. In Band M12 trug es ursprünglich die Seitenzahlen 41 und 42. An der entsprechenden Stelle des Antrags heißt es: „Seiten 41 und 42 nicht belegt“ (BVBB, Presseinformation vom 15.12.2010; Jürgen Schwenkenbecher, BBI-Streit: Wurden die Richter bewusst getäuscht? Berliner Zeitung, 13.12.2010). – Es handelt sich um das gebundene Exemplar, das zur Beteiligung der Öffentlichkeit für jedermann ausgelegt wurde.
Das Brandenburger Verkehrsministerium weist den Vorwurf manipulierter oder fehlender Akten zurück. Alles sei korrekt und vollständig beim Bundesverwaltungsgericht eingegangen und dort auch so noch vorhanden. – Das ändert aber nichts daran, dass die anderen Exemplare manipuliert wurden.
Im Planfeststellungsbeschluss ließen sich die Flughafenbetreiber im August 2004 schließlich den unabhängigen Parallelbetrieb beider Bahnen genehmigen, da er für das der Planung zugrunde liegende Verkehrsaufkommen von 360.000 Flugbewegungen erforderlich sei.
Ziffer 7.1.2.1.2
„Parallelflugbetrieb
Um das den Planungen zugrunde liegende Verkehrsaufkommen von 360.000 Flugbewegungen mit einem Zweibahnsystem bewältigen zu können, ist es erforderlich, dass beide Bahnen unabhängig voneinander betrieben werden können“ (static.ludwigsfelde.info/content/wirtschaft/bbi/Planfeststellungsbeschluss.pdf).
Die geraden Startrouten wurden aber wider besseres Wissen beibehalten. Dadurch ist die gesamte Flughafenplanung fehlerhaft. Womöglich auch das Flughafenlayout, durch das so wenig wie möglich Menschen vom Lärm betroffen sein sollten. „Die Flugroutenprognose ist … Grundlage für die Lärmverteilung, Ausweisung der Schutz- und Entschädigungsgebiete, die gesamte Abwägung der betroffenen Belange und damit für die Rechtfertigung der gesamten Planung“ (Vortrag Hellriegel).
„Die Öffentlichkeit kurz vor Eröffnung eines Flughafens mit Flugrouten zu konfrontieren, durch die zum Teil völlig andere Bevölkerungskreise betroffen werden als diejenigen, die am Verfahren zum Planfeststellungsbeschluss beteiligt waren, ist aus rechtsstaatlicher Sicht naturgemäß nicht sonderlich befriedigend. Und in der Tat: Interessen von Menschen in die Abwägung hineingenommen zu haben, die künftig unbeteiligt bleiben, und umgekehrt Interessen nicht berücksichtigt zu haben, die künftig betroffen sein sollen, klingt nicht gerade nach einem geordneten Planungsverfahren“ (Luftrechtsexperte Prof. Elmar Giemulla, Der Weg zum Regionalflughafen ist vorgezeichnet, Referat für Presse und Information TUB – newsportal, 17.02.2011).
Keiner von uns „Neubetroffenen“ (wir sind sogar in der Überzahl) hatte die Möglichkeit erhalten, sich an dem Entscheidungsprozess durch Anhörungen, Einwendungen usw. zu beteiligen.
Die geraden Flugrouten kehren bis zuletzt in den Dokumenten aller rechtlich relevanten Beschlüsse und Urteile wieder und werden durch diese quasi immer wieder bestätigt:
- Im Planfeststellungsbeschluss von 2004,
- in der höchstrichterlichen Bestätigung des Planfeststellungsbeschlusses durch das Bundesverwaltungsgericht 2006,
- in der Zurückweisung der Verfassungsbeschwerden gegen das Urteil von 2006 durch das Bundesverfassungsgericht 2008 und
- im Planergänzungsbeschluss zum Nachtflugbetrieb von 2009 (Vortrag Hellriegel).
Die geraden Flugrouten sind auch in den Landesentwicklungsplan Berlin – Brandenburg eingeflossen und bilden die Basis der Rechtsverordnung, die Gebiete für eine Baubeschränkung und Gebiete für Höhenbeschränkungen im Flughafenumfeld ausweist (Vortrag Hellriegel).
Der Landesentwicklungsplan dient den Gemeinden als Basis für ihre Planungs- und Entwicklungsentscheidungen.
Es kann keinesfalls beliebig sein, welche Flugroutengrobplanung man der Flughafenplanung zugrunde legt – auch wenn die Routen nicht planfestgestellt und erst kurz vor Inbetriebnahme endgültig festgelegt werden. Vielmehr erwartet man an dieser Stelle, angesichts der weitreichenden Konsequenzen, allergrößte Sorgfalt.
Informationspolitik
„Anders als bisher dargestellt, haben die Flugrouten schon in der Planungsphase des Flughafens eine große Rolle gespielt. Eine Arbeitsgruppe mit Vertretern Berlins, Brandenburgs, des Flughafens und der Flugsicherung hatte sich ausführlich damit beschäftigt, nachdem die Flugsicherung im Sommer 1998 darauf hingewiesen hatte, dass bei dem von den Flughafenplanern gewünschten gleichzeitigen Abheben von beiden Startbahnen die Flugzeuge sofort um 15 Grad abknicken müssen“ (Klaus Kurpjuweit, Manipulationsverdacht bei BBI-Planung, Tagesspiegel, 13.12.2010).
Ein Protokoll der Fluglärmkommission vom 6. Juli 2000 belegt, dass die abknickenden Flugrouten auch hier diskutiert wurden. Während der Beratung ergriff ein Vertreter der DFS namens Schulz das Wort. Er „ erläuterte … der FLK noch, dass nach dem derzeitigen Planungsstand der DFS nach dem Ausbau Schönefelds gleichzeitige parallele Abflüge ohne eine Öffnung von 7,5 Grad zu beiden Seiten nicht möglich sein werden.“ Laut Teilnehmerliste saßen Vertreter von Brandenburger Behörden am Tisch, vor allem Abgesandte des damaligen Ministeriums für Stadtentwicklung etc. Der Berliner Bezirk Treptow-Köpenick und der Senat waren ebenfalls vertreten (Peter Neumann, BBI-Streit: Auch Berliner haben es gewusst, Berliner Zeitung, 13.12.2002).
Außerdem gibt es Unterlagen aus dem Jahr 2000, in denen die Notwendigkeit einer Divergenz der Abflugrouten um 15 Grad erwähnt worden ist, so Bretschneider in einem Interview im Inforadio (RBB, 16.12.2010, 6.45 Uhr).
Die Planung mit den abknickenden Routen stand seit März 1998 immer auf der Agenda, sie wurde aber exakt so lange unterdrückt, bis der Flughafen juristisch in trockenen Tüchern war.
Nach der letztinstanzlichen Bestätigung des Planfeststellungsbeschlusses durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2006 wurden „von 2007 bis 2009 zwei Luftraum- und Verfahrensmodelle von den Verfahrensplanern der DFS entwickelt. … Wichtig ist die Tatsache, dass in beiden Modellen für den gleichzeitigen, unabhängigen Betrieb die 15 Grad Divergenz dargestellt waren. Die Flughafengesellschaft wurde im Rahmen der … Lieferung von Flugplandaten eingebunden. Weiterhin wurden aktuelle Sachstände im Rahmen von Briefings dargestellt“ (Informationsschreiben der DFS, siehe Anhang).
Am 5. März 2009 erhält der BBI von der DFS einen Simulationsbericht (40 Seiten). In einer schematischen Karte sind die abknickenden Routen erkennbar (Achtung, Fluglärm! Was wussten die BBI-Chefs wirklich? Bild.de, 7.10.2010).
Die Zeit, die Öffentlichkeit zu informieren ist aber noch lange nicht gekommen. Jetzt sollten erst einmal Tatsachen geschaffen werden. Erst als am Flughafen 2,5 Milliarden Euro verbaut waren, und kein Weg mehr zurückführte, stellte die DFS ihre abknickenden Flugrouten am 6. September 2010 in der Fluglärmkommission vor.
Wie immer war keine Presse zur Fluglärmkommission zugelassen und wie üblich wurde gebeten, die Informationen vertraulich zu behandeln (Informationsschreiben der DFS; Alexander Kraus, Streit um BBI-Flugrouten geht weiter, Märkische Allgemeine, 2.10.2010).
Der Vorschlag der DFS mit den abknickenden Routen sickerte aber nach außen. Innerhalb kürzester Zeit bildeten sich Bürgerinitiativen und formierte sich Widerstand gegen die neuen Routenvorschläge der DFS.
Die Verantwortlichen auf allen Ebenen behaupteten jetzt, sie hätten nichts von den abknickenden Routen gewusst und wären von den Routenvorschlägen der DFS ebenfalls überrascht worden. Außerdem beriefen sie sich, wie verabredet darauf, die Flugrouten würden ja gar nicht planfestgestellt. Es müsse doch allen bekannt sein, dass diese erst kurz vor Inbetriebnahme des Flughafens festgelegt würden, das könne man ja schließlich auch im Planfeststellungsbeschluss nachlesen.
Diese Position ließ sich aber nicht lange halten. Staatssekretär Rainer Bretschneider vom Brandenburger Infrastrukturministerium musste am 15.12.2010 schließlich zugeben „auch wenn die umstrittenen abknickenden Flugrouten seiner Ansicht nach schon jahrelang ein Thema im Land waren, sei die Problematik nie über Insiderkreise hinausgekommen. `Das ist zu bedauern. Da steckt kein böser Wille dahinter´ “ (RBB Inforadio, Nachrichten, 15.12.2010).
Welche Information war es aber, die der Flughafen über 12 Jahre hinweg offensiv verbreitete? Leider nicht die Tatsache, dass die Flugrouten nicht planfestgestellt, und erst kurz vor Inbetriebnahme des Flughafens festgelegt werden. Vielmehr sind es die geraden Flugrouten, die durch das Informationsmaterial des Flughafens durchgehend dargestellt werden.
Da ist einmal die Schallschutzbroschüre, die alle betroffenen Haushalte erhalten haben. Im Kartenteil kann man auf Basis der geraden Flugrouten die verschiedenen Schallschutzzonen ablesen. Außerdem ist Straßenzugweise aufgeschlüsselt, welche Adressen als betroffen gelten. Im Fließtext wird (auf einer von 37 Seiten) darauf hingewiesen, dass die Schutz- und Entschädigungsgebiete neu ausgewiesen werden können, wenn sich der Luftverkehr anders als prognostiziert entwickelt, insbesondere wenn sich die An- und Abflugverfahren ändern. Noch im Frühjahr 2010 ist eine Neuauflage der Broschüre mit den geraden Routen erschienen.
Wer sich wegen der künftigen Flugrouten in der eigens für solche Zwecke eingerichteten Airport World informieren wollte, erhielt ein aufwendiges Kartenwerk, das ebenfalls die geraden Flugrouten und die darauf basierenden Schallschutzzonen ausweist. Im Vorwort steht, es solle die Frage beantworten, „wie hoch wird die Lärmbelastung, und wo sind wie viele Flugbewegungen zu erwarten? … Die beiden Karten zeigen die Flugbewegungen für jeden Standort im direkten Flughafen-Umfeld. Sie können daher genau ablesen, wie viele Überflüge am Tag und in der Nacht tatsächlich anfallen werden“ (siehe Anhang). Ein Hinweis darauf, dass sich die Flugrouten noch ändern könnten, fehlt. Vielmehr wird vor allem durch das Vorwort der Eindruck vermittelt, als seien sie eine unverrückbare Tatsache.
Die geraden Flugrouten waren auch in einer Kabine der Airport World abgebildet. Sie bildeten bis zuletzt die Basis für die Fluggeräusche vom Band, die dem Ratsuchenden die unterschiedlichen Lärmbelastungen für die Orte seiner Wahl vorspielten. Auch hier wurde, soweit ich weiß, nicht auf die Möglichkeit hingewiesen, dass die Flugrouten sich noch ändern könnten.
Der Flughafen hat es nicht nur in Kauf genommen, sondern sogar offensiv (auch durch mündliche und schriftliche Auskünfte) befördert, dass die geraden Flugrouten in der Außenwirkung einen hohen Grad an Glaubwürdigkeit erlangt haben.
Warum nur hat man die Menschen (aber auch die Gemeinden), die investieren und ihre Lebensentscheidungen vorbereiten wollten, so lange derart in die Irre geführt? Offenbar hat man der Öffentlichkeit die Notwendigkeit der abknickenden Routen bewusst vorenthalten, um das Projekt juristisch und politisch nicht zu gefährden. Es ist fraglich, ob der BBI unter den tatsächlichen Gegebenheiten überhaupt durchsetzbar gewesen wäre.
Erst nachdem der Proteststurm im Herbst 2010 losgebrochen war, kam der Flughafen seiner Sorgfaltspflicht nach und versah das Deckblatt seiner Schallschutzbroschüre mit einer Aufschrift auf rotem Grund: „Bitte beachten Sie: Die Deutsche Flugsicherung weist darauf hin, dass die endgültige Festlegung der Flugverfahren erst durch das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung … erfolgt. Dadurch können sich auch noch Änderungen am Schallschutzprogramm ergeben.“
Internationaler Großflughafen und Luftdrehkreuz?
Der ursprüngliche Plan, einen internationalen Großflughafen mit vier Startbahnen für 60 Millionen Passagiere zu errichten, galt abseits der großen Wirtschaftsregionen Deutschlands und zusätzlich zu den bereits vorhandenen Drehkreuzen in Frankfurt, München und Zürich, nicht als realistisch (Giemulla, Der Weg zum Regionalflughafen, s.o.). Das Projekt wurde gestutzt. Es wurde ihm die Luft so weit abgelassen, bis es politisch und juristisch in Schönefeld unterzubringen war.
Nur in einem Punkt hatte man die Lage noch nicht richtig eingeschätzt:
Im Planfeststellungsbeschluss (10.1.8.2.2, S.647) heißt es noch: „Unter den genannten Gesichtspunkten kommt der Nachfrage der integrierten Frachtdienstleister nach durchgängigem Nachtflugbetrieb, also insbesondere auch zur Kernzeit, im gesamten Frachtbereich die größte Bedeutung zu.“
Das Bundesverwaltungsgericht forderte 2006 aber angesichts der bevölkerungsreichen Lage Nachtflugbeschränkungen. Im Planergänzungsbeschluss von 2009 wurde schließlich geregelt, dass durchschnittlich 77, maximal 103 Flüge in den Nachtrandzeiten von 22.00 – 24.00 Uhr und von 5.00 – 6.00 Uhr zugelassen sind. In der Kernzeit von 0.00 – 5.00 Uhr darf es nur Post-, Regierungs- und Notfallflüge geben (Anrainer wollen gegen Nachtflüge klagen, Berliner Morgenpost, 21.10.2009).
Jetzt stellen die Verantwortlichen fest, dass ein derart geschrumpfter Flughafen gar nicht wirtschaftlich arbeiten kann. – Den privaten Investoren war das schon früher aufgefallen. Deshalb soll der BBI jetzt, wo er juristisch in trockenen Tüchern ist und jetzt, wo 2,5 Milliarden Euro im märkischen Sand stehen, wieder aufgeblasen werden.
Der BBI wird aktuell durchgehend „Großflughafen“ tituliert. In allen Zeitungen ist zu lesen, dass er zum internationalen Drehkreuz ausgebaut werden soll. Man tut alles, um Schönefeld zum Hub für Air Berlin zu machen. Auch die Lufthansa soll in Berlin eine größere Rolle spielen. Die Drehkreuzfunktion wird als ein „Muss“ dargestellt, an dem kein Weg vorbeiführt. Air Berlin hat eine Klage eingereicht, um nachts mit weniger Einschränkungen fliegen zu können.
Dabei steht Im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2006 (4 A 1078.04, Ziffer 151, www.waldblick-gegen-flugrouten.de/wp-content/uploads/2011/01/BVerwG4A1078.pdf):
„Ziel des Ausbauvorhabens ist die Deckung des nationalen und internationalen Luftverkehrsbedarfs der Länder Berlin und Brandenburg (Z1 des LEP FS). Gegenstand der Landesplanung ist nicht (mehr) ein internationaler Großflughafen mit vier Start- und Landebahnen für 60 Mio. Passagiere, sondern ein `mittelgroßer Verkehrsflughafen´ mit einem `modernen Zwei-Bahn-System´ (Nr. 5.4.1 Abs. 3, Nr. 6 Buchst. C zu Z 1 des LEP FS).“
Der BBI ist also ausdrücklich nicht als „internationaler Großflughafen“ genehmigt, sondern als „mittelgroßer Verkehrsflughafen“. Er passierte das Gericht auch nicht als Drehkreuz für Fluggesellschaften, sondern wiederum ausdrücklich, um den „Luftverkehrsbedarf für Berlin und Brandenburg“ zu decken. Es ist ein Umsteigeanteil von 5 % bis 10 % vorgesehen (Ziffer 100). Zum Vergleich: In Frankfurt sind es 50 %.
Die Standortwahl Schönefeld war eine politische Entscheidung. Ohne Not hat man beschlossen, den Flughafen inmitten einer bevölkerungsreichen Region zu errichten. Fast alle sind sich einig, dass die Standortentscheidung ein Fehler war. Die Verantwortlichen weigern sich aber, die Konsequenzen aus ihrer Fehlentscheidung zu tragen und sich mit einem dem Standort angemessenen mittelgroßen und mäßig attraktiven Flughafen abzufinden. Sie arbeiten daran, den Flughafen so zu betreiben, als läge er in Sperenberg.
Die Konsequenzen für die politische Fehlentscheidung sollen allein die Anwohner des Flughafens tragen.
Anhang
Informationsschreiben der Deutschen Flugsicherung vom 16. September 2010
Brief der deutschen Flugsicherung aus dem Antrag auf Planfeststellung in manipulierter Form
Brief vom 20.08.1998 = Seite 1
Brief vom 26.10.1998 = Seite 2
Hans Döring, ehem. Geschäftsführer des BBI, Vorwort zu Airport Extra 2002/2003 (Kartenmaterial mit Flugrouten und Lärmschutzzonen)
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